WOLODYMYR SELENSKYJ: Wer ist der Mann, der sich Wladimir Putins Willen nicht beugt?
Lange wurde Wolodymyr Selenskyj nur als ehemaliger Komiker angesehen, der durch Zufall ins Präsidentenamt der Ukraine rutschte. Viele Ukrainer sind auch knapp drei Jahre nach seiner Wahl noch nicht von den staatsmännischen Fähigkeiten ihres Präsidenten überzeugt. Die Krise mit Russland hat ihn jedoch in ein neues Licht gerückt.
Während Moskau in den vergangenen Monaten mehr als 100.000 Soldaten an der ukrainischen Grenze zusammenzog und die US-Regierung vor einem "jederzeit" möglichen russischen Einmarsch warnte, zuckte der 44-Jährige nie auch nur mit der Wimper.
"Was sollten wir tun? Nur eines: ruhig bleiben", erklärte der frühere Fernsehstar im Januar. Den von den USA als möglichen Invasionstag deklarierten 16. Februar erklärte er kurzerhand zum "Tag der Einheit", den die Ukrainer mit Nationalflaggen in ihren Fenstern feiern sollten.
Bei der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende klang er nun doch alarmierter und forderte den Westen auf, seine Beschwichtigungspolitik gegenüber Moskau aufzugeben. Sein Land sei Europas "Schutzschild" gegen Russland, das mehr internationale Unterstützung verdiene.
Selenskyjs politische Laufbahn begann beinahe wie eine Farce. Bis zu seiner Wahl zum Präsidenten 2019 hatte er keinerlei politische Erfahrung. Sein Weg ins Präsidentenamt ähnelte dem Drehbuch seiner populären Fernsehserie "Diener des Volkes".
In der Serie spielte er einen Geschichtslehrer, der zum Präsidenten gewählt wird, nachdem sich ein Video, in dem er gegen die Korruption im Lande wettert, im Internet rasant verbreitete. Auch im echten Leben verdankte Selenskyj seine Beliebtheit seinem erfolgreichen Auftritt im Internet. Die weit verbreitete Unzufriedenheit mit dem damaligen Staatschef Petro Poroschenko verhalf ihm schließlich zum Wahlsieg.
Doch vom Reißen teils vulgärer Witze im Fernsehen hin zum Führen eines Landes war es ein großer Schritt. Einige Ukrainer befürchteten deshalb nach dem Wahlsieg des aus der russischsprachigen Industriestadt Krywy Rig stammenden Schauspielers das Schlimmste.
Dass seine ersten Schritte auf dem internationalen politischen Parkett zögerlich ausfielen, stärkte das Vertrauen in ihn nicht. "Ich glaube, unsere internationalen Partner haben es ziemlich schwer mit ihm", sagt der ukrainische Politologe Mykola Dawydjuk. "Sie spielen auf einem sehr hohen Niveau, das er nicht erreichen kann - und nicht verstehen kann."
Hinter vorgehaltener Hand zeigen sich einige Diplomaten aber durchaus beeindruckt von der Art und Weise, wie der Ex-Komiker die Krise mit Moskau handhabt. "Ehrlich gesagt, schlägt er sich nicht schlecht", sagt ein Diplomat. Selenskyj bewahre einen kühlen Kopf. "Er hat einen unmöglichen Job, er ist gefangen zwischen dem Druck sowohl der Russen als auch der Amerikaner."
Für Selenskyj stellt die Konfrontation mit Moskau einen Wendepunkt in seiner Präsidentschaft dar. Er war 2019 mit dem Versprechen angetreten, den Konflikt in der Ostukraine zu beenden, in dem Russland mutmaßlich separatistische Kämpfer unterstützt und in dessen Verlauf bisher rund 14.000 Menschen getötet wurden. Ein Versprechen, das er bislang nicht einhalten konnte. Im Gegenteil: Die Beziehungen der Nachbarländer haben sich seitdem weiter verschlechtert.
Wiederholt warf der Kreml Kiew vor, die russischsprachige Bevölkerung in der Ukraine zu diskriminieren und Zusagen zur Beilegung des Konflikts in der Ostukraine nicht einzuhalten. Und obwohl der von Selenskyj als "Traum" bezeichnete Nato-Beitritt der Ukraine wohl noch lange nicht auf der Tagesordnung stehen wird, erhöht Moskau den Druck weiter. In München versuchte Selenskyj den Druck seinerseits zu erhöhen und forderte einen "klaren" Zeitrahmen für den Nato-Beitritt der Ukraine.
Angesichts der Gefahr eines russischen Einmarsches, den die USA nun für die nächsten Tage prognostizieren, sorgte Selenskyjs Reise nach München aber auch für Verwunderung. US-Präsident Joe Biden nannte es "vielleicht nicht die klügste Entscheidung". Selenskyj erhoffte sich aber wohl von den Gesprächen am Rande der Sicherheitskonferenz konkrete Vereinbarungen über finanzielle und militärische Zusagen. Ohnehin sei er nie lange weg aus Kiew, beschwichtige er die Zuhörer bei seiner Rede am Samstag. "Ich hatte Frühstück in der Ukraine und werde mein Abendessen ebenfalls in der Ukraine haben."
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